Die Ozean-Passage

Santa Maria am Horizont

Der Passagenverlauf

Ein Boot wie unsere „Lily of Hamble“, eine 50 ft Bavaria Cruiser kann schon bis zu 10 kt schnell Segeln. Über der Rumpfgeschwindigkeit geht nichts, also rechnen wir mit einem Durchschnitt von 7 kt.

Wir segeln Tag und Nacht, also 24 h, dann sind das ca. 168 sm. Wir rechnen defensiv mit ca. 150 sm als Etmal. Diese 150 sm stechen wir grob mit dem Zirkel auf der Seekarte ab und wissen nun, dass wir ca. 6-7 Tage brauchen werden. Je nach dem, wie weit uns der Wind und Wellen von unserem Idealkurs abbringen.

Danach richten sich auch die zu bunkernden Vorräte. Besonders die Getränke und die frischen Lebensmittel, die ggf. gekühlt werden müssen, halten nicht ewig. Und in der feuchten, salzigen Luft verdirbt vieles etwas schneller, wenn man es nicht richtig lagert.

Ebenso können wir nun die Windstärke und die Windrichtung antizipieren. Wir haben nur ein kurzes Wetterfenster, da gleich am Anfang mit 6-7 Bft von Nord zu rechnen ist. Wenn zur Hauptwindrichtung noch der Fahrtwind addiert wird (Vektorrechnung lässt grüßen) dann kommt der Scheinbare Wind, und mit dem segeln wir, ziemlich aus NNW als fast von vorne. Das bedeutet unangenehmes „Am-Wind“ segeln. Die Wellen kommen dann auch von der Seite oder von schräg vorne.

Das wiederum hat uns bewogen etwas vorzukochen, denn wenn die Pantry nur mit einem „Klettersteig-Set“ begehbar ist, und immer hoch oben liegt, dann kann man nur bedingt große Menüs kochen. Wasser für Tee oder Suppe, bzw. vorgekochte Speisen aufwärmen, dass ist das einzige was wirklich realistisch ist. Aber auch dazu später mehr. Ich hatte je bereits verraten, dass es uns nicht ganz so gut ging. Sprich, bis Donnerstag hat keiner feste Nahrung zu sich nehmen können, geschweige denn drin behalten.
Wieder hat es sich bewahrheitet: das Schiff kann immer mehr ab, als die Crew. Es ist nur eine Frage von Intensität und Dauer …

Wachplan

Wir sind fünf Personen. Drei davon Anwärter für den Yachtmaster Ocean. Felix und Jeff haben die Yachtmaster Offshore Theorie und Praxis schon abgelegt. Elisabeth noch nicht, wollte sich aber dennoch auf die Prüfung schon vorbereiten. Die drei werden sich als „watch-captain“ abwechseln. Bernd und ich wechseln uns als Crew ab.

Daraus ergibt ich dann ein Wachplan von 3 x 4 h für die Wachhabenden und 2 x 6 für die Crew. Die Zeiten sind für mich von 8:00 bis 14:00 und von 20:00 bis 02:00. In den Zeiten dazwischen darf ich schlafen. Dadurch sehe ich immer alle Wachhabenden, da man natürlich etwas vor der Ablösung bereits fertig an Deck geht. Die anderen haben Zeiten von 08:00 – 12:00, von 12:00 – 16:00, von 16:00 – 20:00, von 20:00 – 0:00, von 0:00 – 04 und von 04:00 – 08:00.

Wachplan

Der Vorteil eines Wachplanes wäre auch, dass man nie gleichzeitig mit seinem Kabinenpartner zur selben Zeit in der Koje liegt. Dies lässt sich bei so einem Plan aber nur bedingt einrichten. Aber bei Felix und mir war es kein Problem, da wir beide im selben Sägewerk arbeiteten.

Die Fastenphase

Nach dem Ablegen, setzten wir recht schnell die Segel. Da stärkerer Wind zu erwarten war, nutzten wir nicht die Genua, sondern gleich die Arbeitsfock, die an einem separaten Stag mit Stagreitern angeschlagen war. Das Groß fuhren wir auch sofort im 2. Reff.
Dadurch war das Boot gut ausbalanciert und legte sich nicht ganz so auf die Seite. Unser Westkurs, wir mussten so hoch es ging an den Wind gehen um nicht zu weit nach Süden versetzt zu werden, war eher ein Rodeo-Ritt.
Wenn so ein 50 ft Boot bis zum Kiel aus aus der Welle gehebelt wird und dann mit einem großen Krachen wieder ins Wasser einsetzt, dann hört sich das unter Deck an, als würde im nächsten Moment ein Wal durch das Boot donnern. Mit der Zeit haben wir uns zumindest akustisch daran gewöhnt. Aber nur wenige Augenblicke unter Deck reichten bei allen aus, um mit grün-gelben Gesicht und weit aufgerissenen Augen wieder nach oben zu stürmen und nach frischer Luft zu schnappen.
Leider mussten aber alle immer wieder den EP („Estimated Point“, dt. Koppelort) und den Kartenkurs auf der Karte eintragen. Das Schlafen ging ohne Probleme, denn sobald die Augen zu sind, fehlt ein irritierender Reiz. Dann ist das Auf- und Ab sogar einschläfernd oder beruhigend für mich.

Diese Phase ging von Dienstag bis Donnerstag. Zeitweilig blieb noch nicht mal Wasser im Magen. Eine gefährliche Situation, wenn alle geschwächt und dehydriert sind. Mit Kaugummis gegen Seekrankheit haben wir uns einigermaßen auf den Beinen halten können.
Die Tatsache, dass wir viele Bananen und Äpfel gebunkert hatten, war im Nachhinein ein echter Segen. Denn damit konnten wir uns einigermaßen „über Wasser“ halten.

Die Genussphase

Am Donnerstag Morgen haben Felix und ich dann die Wache mit einem Salami-Käse Brot begonnen. Multivitaminsaft blieb auch drin. Dann kamen langsam die Lebensgeister zurück. Am Nachmittag wurde ich dann vom Anbraten der Zwiebeln und von den Röstaromen vom Speck wach. Felix machte Spagetti Carbonara. Das sollten die besten Spaghetti Carbonara meines Lebens werden. Diese Mahlzeit hat und allen sehr geholfen. Es ging aufwärts. Der Wind hat etwas nachgelassen und wir konnten zum ersten Mal den Blick auf das tief blaue Wasser genießen.

Einer von vielen Begleitern

In der Nacht war es anfangs sehr dunkel, da aufgrund der Wolken keinerlei Sterne zu sehen waren. Jede fünfte Welle brach genau neben dem Boot. Wenn sie weiter vorne brach, spritze die Gischt bis ins Großsegel. Wenn es weiter hinten war, wurde der Steuermann komplett geduscht. Spätestens wenn die Unterwäsche eine Salzkruste bekommt, ist klar, dass das Ölzeug auch nur eine Zeit lang durchhält. Zum Glück war die Wassertemperatur mit 21-22 Grad schon fast angenehm. Trotzdem ist so ein Schwall Salzwasser nicht angenehm.
Wir wechselten uns beim Steuer immer ab. Der Wachhabende, der die Wache beginnt, steuert zwei Stunden und wird dann vom 1st Mate abgelöst, der dann auch zwei Stunden steuert. Danach ist der nächste Wachhabende dran. In der Nacht starrt man dann nur noch auf den Steuerkompass, sieht ansonsten nichts und man spürt die Bewegungen des Bootes, die man so gut es geht durch sofortiges Gegensteuern ausgleicht um das Boot möglichst auf dem Sollkurs zu halten. In unserem Fall mussten wir auch nich aufpassen nicht zu hoch an den Wind zu gehen, damit die Segel nicht killten (seemännisch für flattern).

In den ersten beiden Nächten nahmen wir das Groß komplett weg und fuhren selbst nur mit der Fock zwischen 7 und 8 kt. Dadurch kamen wir sehr gut voran, verloren kaum Höhe und kämpften uns immer weiter nach Westen.

Der Astro-Fix

Nur mit Koppeln kann man zwar anhand der Logge (durchs Wasser gesegelte Strecke) und dem Kartenkurs (der Kompasskurs muss um Ablenkung und Missweisung berichtigt werden) die ungefähre Position bestimmen. Allerdings helfen sogenannte Fixes, also beobachtete Positionen, um die vermutlich richtige Position auf der Karte zu finden. Ab diesem Fix, der nicht auf der gekoppelten Linie liegen muss, wird dann weiter gekoppelt.

In der Mitte – unser Törnverlauf

Da man auf dem offenen Wasser immer den Horizont sehen kann, solange es das Wetter zulässt. Ist es möglich den Winkel zu bekannten Gestirnen zu messen. Tagsüber sind das Sonne und Mond. Nachts kann es der Mond sein, solange er noch nicht unter gegangen ist, oder eben ein bekanntes Gestirn.

Einen Astro-Fix bekommt man, wie jeden anderen Fix, durch zwei Standlinien, die sich an der vermuteten, bzw. beobachteten Position kreuzen. Bei der Küstennavigation sind des Kreuzpeilungen, oder eine bekannte Tiefe und eine Peilung. Also auch immer zwei Linien, die sich schneiden.

Für den Astro-Fix nimmt man gerne eine Messung am Vormittag und die sog. Mittags-Breite. Diese ist etwas einfacher zu berechnen, als die Breite zu einer beliebigen Uhrzeit.

Benötigt wird also ein Sextant, mit dem der Winkel zum Zenit bestimmt wird. Da man das nicht direkt kann, wird also der Winkel zum Horizont gemessen. Dieser wird dann korrigiert um einen möglichen sog. Indexfehler des Sextanten, um die Augeshöhe, denn sog. DIP, da wir ja ein Stück über der Wasseroberfläche stehen oder Sitzen, um den scheinbaren Sonnenradius, da der untere oder obere Rand gemessen wird und die Brechung des Lichts je nach Einfallswinkel die Sonne größer oder kleiner aussehen lässt, als das Abbild ohne Atmosphäre wäre. Man wälzt also dicke Tabellen, korrigiert die Werte und bekommt am Ende einen Winkel, der entweder mit einem bekannten Winkel um genau diese Uhrzeit verglichen wird, oder den Zenitwinkel (90 – Winkel) der Mittagsbreite.
Daraus ergibt sich eigentlich ein Kreis (denn alle Punkte auf diesem Kreis haben den selben Sonnenwinkel), der aber so groß ist, dass er auf unserem Kartenausschnitt wie eine Gerade eingezeichnet werden kann.

Wo ist bloß die Sonne?

Diese täglichen Messungen sollten immer routinierter werden. Bei der Prüfung muss dann auch schließlich zwei Messungen Schritt für Schritt sauber erläutern. Mit jedem Tag wurde die praktische Arbeit auch besser. Das ist eben echtes Handwerk im positivsten Sinne.

Als wir dann am Samstag in den Abendstunden die Silhouette von Santa Maria am Horizont sahen, waren wir nicht nur froh, endlich wieder Land zu sehen, sonder auch, dass wir nicht viele Meilen an den Azoren vorbei gesegelt sind, sondern auf eine gesegelte Distanz von 912 sm die Inseln genau getroffen haben.
Sind die Inseln dann in Sichtweite, dann geht man wieder über zur klassischen Küstennavigation, bei der man die Leuchtfeuer oder andere markante Punkte aus der Karte zur Positionsbestimmung verwenden kann.

ganz klein in der Bildmitte – Santa Maria

Wie es weiter ging, erzähle ich Euch dann im dritten Teil. Für heute soll das nun auch genügen.

Handbreit,
Euer Segelmichel

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