Eine ganze Woche waren wir unterwegs. Die Aufgabe war die Segelyacht „puent enel“, ja richtig gelesen, „.nl“ wie die niederländische Domain-Endung, von A Coruña in die Niederlande zu bringen. Das Ziel war Lemmer am IJsselmeer.
Wie bereits beschrieben, erfolgte erst mal eine gründliche Inspektion, die prompt einige behebbare Mängel zu Tage förderte. Die Mängelliste sollte aber im Laufe der Überfahrt noch etwas länger werden.
Laut Navionics Tracking-Daten sollten es am Ende 856 sm sein, die sich in drei bzw. vier wesentliche Etappen aufteilen. Für die Aufteilung der letzten Etappe gab es aber gute Gründe. Dazu später mehr ….
Kapitel 1 oder auch der 1. Akt: Von der Sada Marina in A Coruña nach Camaret sur Mer in 2 Tagen und 10 Stunden quer über die Biskaya.
Dann der 2. Akt, fast genau gleich lang von Camaret sur Mer bis nach Dünkirchen, wobei wir einen kurzen Zwischenstopp in Cherburg eingeschoben haben, den ich zeitlich natürlich nicht berücksichtigt habe.
Die dritte Etappe sollte von Dünkirchen bis nach Lemmer in einem Rutsch gehen. Aber aus dem Drama in drei Akten wurden eher vier. Wie gesagt wir hatten einen Stop-over in Scheveningen, der den letzten Akt in Zwei geteilt hat.
Und bis nach Lemmer ging es am Ende auch nicht, sondern in Amsterdam haben wir dann die Überführung beendet.
In der Amsterdam Marina sollte uns dann Jens, der Eigner treffen und bis nach Lelystaad begleiten. Lelystaad deswegen, weil man von dort besser mit dem Zug wegkommt um ab Amsterdam entweder zu fliegen oder mit dem Zug nach Hause zu fahren. Ich kenne Lelystaad noch gut, denn dort habe ich vor Jahren meine SKS-Ausbildung gemacht und die Prüfung abgelegt. Aber es wurde leider nichts aus dem Wiedersehen.
Wir sind in A Coruña angekommen und die Marina hat uns ein Taxi organisiert. Nach 20 Minuten sind wir bereits vor Ort. Als erstes wird die Yacht von oben bis unten komplett inspiziert. Christian wird von mir auf den Mast gewinscht und kontrolliert das Großfall und das Genuafall.
Motor, Elektrik, Seeventile, Kielbolzen, laufendes und stehendes Gut, die Segel und so weiter und so fort wird auf das Genaueste in Augenschein genommen.
Leider hat uns die tiefentladene Hausbatterie bereits mit einem piepsenden Geräusch empfangen. Aktuell wird sie auch nicht vom Motor geladen. Dem Problem müssen wir vor der Abfahrt noch auf den Grund gehen.
Der dritte und letzte Teil der Reihe wie man Yachtmaster wird, mit Eindrücken aus der Prüfung.
Es kam der Tag, an dem Hubi und ich Yachtmaster werden sollten. Es war ein Donnerstag (im April 2021). In der letzten Woche waren Gerald und Jochen erfolgreich geprüft worden und wir durften als Crew bereits einen Eindruck bekommen, wie so eine Yachtmaster-Prüfung abläuft.
An einer Prüfung als Crew teilzunehmen kann ich jedem zur Vorbereitung auf jeden Fall ans Herz legen. Zum einen wird klar, wie lange diese Prüfung dann wirklich dauert und zum anderen seht ihr wie vielfältig die Aufgaben des Prüfers über den Tag verteilt sind.
Gregor und Jochen haben es jedenfalls sehr gut gemacht und wir haben Sie am Abend noch gebührend gefeiert. In unserer Prüfungswoche waren wir zu viert. Gerald und Axel, Hubi und ich wollten uns der Aufgabe stellen. Da Gerald und Axel neu zur Crew hinzugekommen sind und Gregor und Jochen abgelöst haben, sollten Sie auch die Chance haben eine Prüfung aus Crew-Perspektive zu erleben. Das bedeutete, dass Hubi und ich als erstes dran waren.
Der Prüfer, Stephen Hart, wurde extra aus Mallorca eingeflogen. Denn Covid-19 bedingt, konnte keiner der üblichen Examiner aus England zu uns kommen. Im Solent gibt es eine Hand von ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten, die regelmäßig für die RYA Prüfungen abnehmen. Stephen, so sollte es sich später herausstellen, ist Captain auf einer Superyacht und mittlerweile hat der die spanische Staatsbürgerschaft. Zum einen also ein EU-Resident und zum anderen war es für ihn ein sehr günstiger Inlandsflug. Ebenso sollte sich später herausstellen, dass er im Bristol-Channel das segeln gelernt hat und auch mal für Großbritannien bei den Olympischen Spielen teilgenommen hat. Aber dazu später mehr ..
Stephen kam also am Vorabend an und wir haben ihn natürlich zum Essen eingeladen. Am Morgen trafen wir uns auf dem Boot, wo er seine obligatorische Cup of Tea erhielt und er dann Hubi bat mit den anderen ein wenig weiter weg zu warten, damit er nicht später den selben Wortlaut wieder hört. Ich war mit der Sicherheitseinweisung dran. Er hat es aber eher wie ein Gespräch unter Fachleuten gestaltet, ich sollte ihm einfach unter Deck und später dann an Deck die Sicherheitseinrichtungen erläutern und erklären was und wie ich es meiner Crew näher bringe. Da ich als Ausbildungsskipper selbst großen Wert darauf lege, war diese erste Aufgabe dann auch gut geeignet um das Adrenalin abzubauen und mich ganz auf diesen Tag und diese Nacht einzulassen. Solltest Du etwas vergessen haben, kommt sicher irgend wann mal eine Frage dazu. Es kann auch sein im Laufe des Tages, ganz beiläufig.
Bei den anderen Kollegen in der Vorwoche habe ich schon gemerkt, dass er bisweilen anfängt Fragen zu stellen oder kurz erklärt was aus seiner Sicht noch wichtig ist. Es meinte dann, ich soll das Boot zum Auslaufen vorbereiten und Hubi wurde in die Mangel genommen. Aber auch hier und dank der Vorarbeit unserer Kollegen in der Vorwoche gab es nichts auszusetzen. Jochen hat z.B. während der Prüfung „entdeckt“ dass das Datum bei den Signalfackeln abgelaufen war. Das hätte uns natürlich vorher schon auffallen können. Letztendlich sind wir dann erst ausgelaufen, als es nichts mehr zu beanstanden gab.
Nun kamen die üblichen, leg mal ab, … ach ich hab was vergessen, fahr nochmal zurück. Bzw. wir fahren zur Tankstelle, da legen wir an. Hier ging es zum einen um das Bootshandling und zum anderen wie mit der Crew kommuniziert wird. Wie wird das Manöver vorher durchgesprochen? Werden die Rollen und Positionen beim Manöver klar zugewiesen? Und am Ende geht es drum, ob sich alle, also auch der Prüfer währenddessen wohl und sicher gefühlt haben.
Der Prüfer sieht dann z.B. einen Fischtrawler am Steg, fragt nach den Tagzeichen oder welche Lichter er in der Nacht zeigen würde. Oder wenn der Trawler ablegt, welches Schallsignal hätte er geben müssen, wenn er es „richtig“ gemacht hätte. Bei unseren Trainings sind dann mitten in den Hafenmanövern auch mal die Motoren ausgefallen und wir mussten schnell reagieren, Segel setzen und dann nur mir Segelunterstützung an einem Steg anlegen und das Boot sicher festmachen. Das kam jetzt in unserer Prüfung nicht vor, aber jeder sollte auf so etwas vorbereitet sein. Ebenso kann plötzlich außer dem Kompass und dem Tiefenmesser alles andere ausfallen, die Sicht schlecht werden und man muss mittels Blind-Navigation sicher in den nächsten Hafen kommen. Also aus allem und jedem kann sich eine „belanglose“ Frage oder Anmerkung ergeben und du musst Rede und Antwort stehen, nebenher die Crew führen und das Boot dorthin navigieren und z.B. einen bestimmten Punkt auf der Seekarte finden und durch einen Three-Point-Fix bestätigen.
Zur Vorbereitung auf den Prüfungstag hatte Stephen uns eine Karte vom Bristol-Channel da gelassen und Hubi und mir jeweils eine Aufgabe für den Passage-Plan gegeben. Wir sollten von unterschiedlichen Ausgangshäfen in einen kleinen Sportboothafen bei Bristol fahren.
In meinem Fall plante ich mit Westwind 5-6, berücksichtigte die Navigational Hazzards, sonstige Hindernisse, etc. und hatte einen schönen Plan mit Pilotage für Start- und Ziel, Schleusenzeiten am Ankunftsort, etc. vorbereitet. Aber er sagte dann: „bevor du mir deinen Passageplan erklärst, lass uns doch mal das heutige Wetter abhören und sag mir dann, wie sich das auf deinen Plan auswirkt.“
Also musste ich herausbekommen, in welchem See-Gebiet ich unterwegs sein wollte, und aus dem Original-Wetterbericht (Stephen hatte alles auf seinem Smartphone gespeichert), mit original Sprecher und in original Geschwindigkeit alles heraushören, was für mich relevant war.
Dann konnte ich meinen Passageplan überarbeiten, denn wir hatten heute Ostwind und das auch noch ziemlich starken. Daraus ergaben sich einige Tide gegen Strom Situationen, die einer echten Crew sicher die Farbe aus dem Gesicht getrieben hätte. Aber scheinbar konnte ich meinen Plan gut verteidigen, denn er hat kaum Vertiefungsfragen gestellt.
Hier sieht man schon ein wenig das Konzept der Prüfung. Es sind nie unlösbare Aufgaben, aber du hast dich gut vorbereitet und wie im echten Leben kommt kurzfristig irgend etwas als Störfaktor dazu. Man wird durch erhöhen des Stresslevels immer wieder aus seiner Komfort-Zone geholt und dann dabei beobachtet, wie man damit umgeht.
Zum Plan an sich: ich habe natürlich auch mein iPad mit Navionics genutzt. Das würde ich auch „im richtigen Leben“ tun. Dennoch habe ich den gesamten Plan schriftlich abgefasst und Handskizzen mit allen Details angefertigt, für den Fall, dass das iPad nicht geht. Auf der Seekarte habe ich meine Wegepunkte eingezeichnet und im Passageplan beschrieben. Die genauen Schleusenzeiten im Ankunftshafen haben wir schließlich im Internet online herausgesucht. Denn diese waren nicht im Almanach zu finden. Wohl aber der Hinweis auf den kleinen Hafen.
Das verschieben der Komfortzone sollte sich über den Tag verteilt noch ein paar mal wiederholen. Der Wind war mittlerweile schon etwas heftiger geworden, machte aber beim Segeln Spaß. Ich durfte bei 7 Bft. unter Segeln ein Ankermanöver durchführen, dann war bereits Mittagszeit. Und unsere Crew hat uns etwas gezaubert. An dieser Stelle muss ich mich wirklich nochmals bei Axel und Gerald für den grandiosen Service bedanken. Wir wurden immer wieder freundlich und dezent daran erinnert, zu trinken, doch mal einen Riegel oder Obst zu essen, u.s.w. Das stärkt die Moral und hält die Konzentrationsfähigkeit oben. Dieses kollegiale Miteinander kann ich wieder nur als Praxistipp mitgeben. Es ist nicht verboten sich gegenseitig zu unterstützen, im Gegenteil. Der Prüfer sieht bzw. spürt den Zusammenhalt und die gute Kammeradschaft auch.
Wir wurden also immer wieder im Wechsel mit verschiedenen Aufgaben konfrontiert, während der eine segelte, wurde der andere unter Deck mit dem Pilotage-Plan beschäftigt oder es durfte mal kurz ein Course-to-steer im Bristol-Channel an besonders interessanten Stellen gerechnet werden. Man muss wissen, im Bristol-Channel sind die zweithöchsten Tidenunterschiede der Welt. Nur in British-Columbia in Kanda gibt es höhere Gezeitenunterschiede. Deswegen kann es u.U. auf Grund der Strömunmg auch mal unmöglich sein oder zumindest sehr lange Dauern bis man bestimmte Passagen genommen hat.
Mein Highlight, bzw. meine Herausforderung war das Ankermanöver unter Segeln. Bei normalen Verhältnissen ist es eigentlich schöner unter Segeln als unter Motor zu ankern. Bei uns waren es aber ca. 7 Bft und in Böen 8. Mal ehrlich, wer macht das regelmäßig unter Segeln?Also guten Untergrund finden, am besten in einer Abdeckung, dass weder Schwell noch Wind uns zu sehr in der Mittagspause stören.
Das Vorsegel wurde dann weggerollt, damit bei der Bedienung des Ankers niemand durch schlagende Schoten oder Segel verletzt wird. Den Ankerplatz habe ich dann mit Spill-and-Fill, also ähnlich wie bei einem Beinahe-Aufschießer langsam angesteuert, den Anker fallen lassen, dann das Groß geborgen und den Rest hat dann der Wind erledigt. Ich hatte das bis dahin noch nie unter solchen Bedingungen gemacht, aber es ging dann doch besser als erwartet. Klar, die Crew muss gut eingespielt sein, bei solchen Bedingungen hört man auch kein Rufen mehr. Also klare Zeichensprache und ggf. eine Person als Relais auf halber Strecke auf Höhe es Mastes.
Während der Mittagspause fragte mich Stephen dann (auch ganz beiläufig), was ich denn so machen würde, wenn ich dieses Boot zurück nach England überführen wollte … und schon hatte ich wieder ein Thema, das vom Masttop bis unter Deck alle relevanten Stellen gestreift hat um auch wirklich alle Vokabeln nochmals rauskramen zu können. Die Frage sehe ich aber als absolut Praxisrelevant an, denn wir dürfen ja als Yachtmaster solche Passagen auch durchführen.
Es gab noch Rettungsmanöver, die zu segeln bzw. fahren waren und irgend wann ein gemeinsames Abendessen in der Marina Rubicon. Die Rückfahrt nach Porto Callero sollte in die Nacht fallen, damit wir zum einen noch Rechtzeitig zum Feiern wieder in der Kneipe sein konnten, allerdings machten alle Bars Corona-bedingt auch um 22:00 zu.
In der Nacht durften wir wieder peilen, mussten bestimmte Positionen auf der Karte anfahren und durch Peilungen bestätigen, Leuchtfeuer anhand von Kennungen identifizieren und abschätzen wann wir wieder im Hafen sind. (Nicht zuletzt auch wegen unserem Ausklang)
Da Hubi am Tage bereits angelegt hatte, war es bei mir dann in der Nacht so weit, dass ich unsere Yacht rückwärts in die Box bringen und fachgerecht festmachen durfte. Auch hier wieder wichtig, Rollen verteilen, klare Aufgaben geben, vorab durchsprechen, etc. und nachdem der Motor dann aus war, und wir der Reihe nach bei Stephen zum Debriefing unter Deck erschienen waren, konnten wir und dann auch auf das Bier in der Bar freuen.
Clemens hatte das Debriefing entsprechend angekündigt, als ein sehr umfassendes, wertschätzendes und tiefgreifendes Feedback-Gespräch. Bei mir war es das kürzeste, das ich bis dahin hatte. Stephen meinte nur „Michael, you passed with flying colors“ und gratulierte mir. Jetzt war ich zum einen erleichtert, da ich bestanden hatte, aber auch ein wenig enttäuscht, da das ausgiebige Feedback sehr kurz ausgefallen ist. Aber im Laufe des Abends kam dann auch Stolz und Freude dazu, denn das war schon ein verdammt dickes Lob von einem professionellen Captain.
Zum Glück haben unsere Freunde und Kollegen, die keine Prüfung hatten, genügend Bier eingekauft. Denn das Intermezzo in der Bar war entsprechend kurz, da wir fast genau zur Sperrstunde erst ankamen. Aber die last Orders haben wir noch loswerden können, sind dann aber schnell wieder zurück auf das Boot noch ein wenig zu feiern. Aber auch nicht zu lange, denn am anderen Morgen sollten unsere beiden Kollegen ja ein ähnliches Programm genauso erfolgreich absolvieren.
Hat es sich gelohnt? Da muss ich mit einem ganz klaren „Ja“ antworten. Neue Kollegen, ein neues Revier, eine neue Situation, u.s.w. Ja, es hat sich gelohnt. Ich selbst habe mich in diesen Jahre weiter entwickelt und viel dazu gelernt.
Es ist zwar in gewisser Weise ein Schlusspunkt. Doch der Weg dorthin, ist mindestens genau so wichtig, wie einprägsam und erfüllend gewesen. Am Ende die Bestätigung zu bekommen, eine der anspruchsvollsten Prüfungen der Branche mit Bravour bestanden zu haben, lässt einen schon ein wenig „wachsen“. Ich blicke heute gerne darauf zurück, fast ein Jahr danach und ich bin emotional gleich wieder dort und würde gerne einfach immer weiter machen …
Deswegen freue ich mich auf die neue Saison. Aktuell gebe ich bereits wieder Skippertrainings, Online-Seminare und hoffe noch auf viele Törns, bei denen ich meine Begeisterung an meine Mitseglerinnen und Mitsegler weiter geben kann.
Spätestens jetzt, also nach meinem Törn im Solent, der mir in Sachen Bootshandling wirklich sehr viel gebracht hat, begann ich regelmäßig englische Segel- und Bootsbauvideos auf Youtube zu konsumieren. Denn irgend wie wollte ich mir auch die Fachausdrücke aneignen. Über die Berufsjahre hinweg ist mein Schulenglisch, von einer „Schreibe“ langsam zu einer Sprache geworden. Die Sache mit der Schreibe ist eine Zeiterscheinung. Denn bereits bei meinen Kindern konnte ich feststellen, dass viel mehr auf Hörverstehen und Sprechen geachtet wurde als zu meiner Zeit.
Aber Segelvokabeln oder die Bezeichnungen aller Einzelteile eines Botes vom Kielbolzen bis zur Mastspitze kamen leider nirgendwo vor. Wir alle kennen vielleicht noch den ersten Moment aus dem Segelkurs, als plötzlich komische Begriffe und Redewendungen auf deutsch verwendet wurden … die sich aber wie eine andere Sprache anhörten? Jetzt beginnt das also nochmal, nur auf Englisch.
Dies soll als Vorrede und Hinführung zum Thema reichen, Kurz gesagt, das Projekt Yachtmaster begleitet mich nun schon viele Jahre und ich habe immer wieder ein Teil zum Puzzle hinzugefügt. Die konnte ich dann auch wunderbar an der Dokumentation meiner „Meilen“ für die Zulassung sehen. Gezeitenmeilen, Nachtfahrten, Passagen mit mehr als 60 sm und auch weiter als 60 sm vom Land entfernt.
Wenn ihr die genauen Kriterien wissen wollt, dann schaut auf den Seiten der RYA. (YM Coastal: 800 sm, min. 400 im Gezeitengewässer, YM Offshore 2500 sm, min. 1250 im Gezeitengewässer)
Da müssen auch die Ostsee-Segler mal raus ins Gezeitenrevier. Kurz gesagt, bei der RYA werden keine Scheine „abgehakt“ sondern das dauert eine ganze Weile. Erfahrung kommt eben von Fahren! Da ein YM Offshore oder Ocean mit dem sogenannten Commercial Endorsment als Berufsausbildung oder Berufsqualifikation gilt, ist es eben auch nicht verwunderlich, dass die Seefahrerin oder der Seefahrer ein gerüttelt Maß an praktischer Erfahrung braucht.
Es sind eben ein paar Seemeilen mehr, als die 300 sm für den SKS oder 700 nach dem SKS bzw. 1000 sm nach dem SBF für den SSS, die man hier nachweisen muss.
Nun gibt es andere Seglerinnen und Segler, die bereits einmal um die Welt oder zumindest bis in die Karibik und zurück gesegelt sind. Es gibt Blauwasserprofis, Youtuber mit einem Segelkanal oder auch andere, die den Teil locker aus dem Fundus ihrer zehntausender Seemeilen quasi wie aus dem Ärmel schütteln. Aber als ein Segler aus dem „Heer der Werktätigen“ bastelt man eben zwischen Job und Familie etwas länger dran.
Genau solche interessanten Menschen sollte ich dann auch im Theorieseminar bei MCO Sailing Academy in Stams in Tirol treffen. Irgend wie hat es sich herumgesprochen, dass man bei Clemens in unglaublich schönem Ambiente, eine didaktisch und rhetorisch wirklich ansprechende und zugewandte Ausbildung erhält, die ihresgleichen sucht.
Da ich quasi nur wenige Autokilometer entfernt wohne, war die Option mit MCO Sailing-Academy in Stams als Ausbildungsort, statt in Essen (Die Yacht-Skipper Akademie) oder gleich irgendwo in England einfach auch logistisch die verlockendere Alternative. Also meldete ich mich bei Clemens an.
Um gut vorbereitet zu sein, hatte ich mich auf Empfehlung von Clemens, unserem Yachtmaster Instructor und Principal von MCO Sailing Academy für ein zweiwöchiges Finale entschieden.
Wir sind zu dritt gemeinsam ab Dornbirn nach Basel gefahren um den einzigen Direktflug, den es zu der Zeit gab, auf die Kanaren, genauer gesagt nach Arrecife auf Lanzarote zu nehmen.
Ich bin direkt bis zu Clemens gefahren und sind in morgendlicher Dunkelheit und Frühe von seinem Haus bis nach Dornbirn gefahren, wo Clemens das Auto problemlos parken konnte. Dort hat uns Michael, der aus Innsbruck hergefahren war, in sein Auto geladen und die „Navigation“ bis Basel übernommen.
Nach einer wirklich kurzweiligen Fahrt kamen wir schließlich in Basel-Mulhuse an. Wir parkten in Mulhuse auf einem Langzeitparkplatz, trafen Jochen, der bereits dort auf uns wartete und wurden vom Shuttleservice direkt zum Flugplatz gefahren und gefühlt sind wir nach einem Nickerchen im Flieger schon in Arrecife auf Lanzarote gelandet.
Warum in aller Welt ausgerechnet Lanzarote? Nun, die Corona-Pandemie ist immer noch nicht vorbei, es ist sehr schwierig nach England zu kommen und auch wieder zurück. Man muss in Quarantäne bei der Einreise und auch wieder bei der Rückkehr. Also ist es leider nicht möglich für eine oder zwei Wochen nach England zu reisen um in einer sehr anspruchsvollen Umgebung die Prüfung zu absolvieren.
Aus diesem Umstand hat Clemens eine Tugend gemacht und wurde von einer RYA Ausbildungsbasis auf Lanzarote freundlich aufgenommen. Endeavour Sailing, vertreten durch Stephanie und Keith Charlton, beide sind wie ihre Boote schon etwas in die Jahre gekommen, haben alles bereit gestellt was wir brauchten. Dadurch ergab es sich auch, dass MCO Sailing nun eine eigene Basis auf Lanzarote aufbauen konnte. Die beiden hatten es Clemens gleich ans Herz gelegt. Und mit dem Partner Lava Charter in Arreceife wurde es dann auch möglich gut gewartete Boote für die Ausbildungstörns zu chartern.
Ähnlich wie bei der BG-See Abnahme für Ausbildungsboote in Deutschland, verhält es sich bei der RYA. Ein Betrieb muss akkreditiert sein und die Boote müssen auch den RYA Standards entsprechen. Hier wird auch alles getan um die Qualität auf allen Ebenen zu sichern.
Wir durften also mit den Endeavour Booten trainieren und unsere Prüfung machen.
Um an der Prüfung teilnehmen zu dürfen, waren bei mir im Jahr zuvor zwei intensive Wochenenden in Stams in Tirol zu absolvieren. Die Theorie, die zugegeben im englischen System nicht den selben Stellenwert hat, wie im Deutschen, musste mit einem positivem Assessment abgeschlossen werden. Verglichen mit der wirklich anspruchsvollen und aufwändigen Prüfung zum deutschen SSS war es wirklich machbar. Jedoch sei hier jeder gewarnt, dass was in der Prüfung verlangt wird, muss dann auf dem Boot in Extremsituationen auch sitzen. Einen Course-to-Steer, eine Height-of-Tide, Dead-Reckoning oder eine Estimated-Position muss man aus dem Ärmel schütteln können. Dazu braucht man auch keinen Kurs, denn Aufgaben und Lösungen gibt es genug.
Das Schöne am englischen System ist, es wird weniger gerechnet, aber dafür viel gezeichnet. Alle Formen grafischer Lösungen funktionieren eben einfach besser, als z.B. das Rechenschema für die Höhe der Gezeit.
Diese Woche sollte intensiv und lehrreich werden, in jeder Beziehung. Jochen und Gregor waren die beiden ersten Kandidaten.
Beide bekamen von Clemens Karten, einen Reeds-Almanach und jeweils eine Aufgabe für einen Passagenplan für eine Kanalquerung und eine Passage zu den Kanalinseln. Diesen Passage-Plan, muss jeder Prüfling dann „verteidigen“. Der Prüfer lässt sich den Plan erklären und stellt ein paar Fragen dazu. Es ist viel Fleißarbeit zu leisten und wenn das passt, gibt es wieder Sicherheit in der Prüfung. Ein Prüfer merkt sofort ob man den Plan „kennt“, ihn also selbst angefertigt hat, oder ob es heir Wissenslücken gibt. Deswegen sollte niemand enttäuscht sein, wenn das Kapitel scheinbar schnell abgehakt wird.
Wir durften intensiv Ablegen, Anlegen, Wenden auf engem Raum und noch vieles mehr üben, denn schließlich soll das Bootshandling auch sitzen. Es ist ein fremdes Boot, eine fremde Crew und wir mussten erst einmal alle zusammenwachsen zu einem Team.
Mitten bei den Hafenmanövern sagte Clemens dann: „So, Euer Motor ist ausgefallen!“ Also schnell die Segel gesetzt und sicher an einem geeigneten Steg unter Segeln angelegt. Genau solche kleinen Einschübe, werden auch in der Prüfung gemacht. Du bekommst eine leichte Aufgabe und der Stresslevel wird langsam immer höher gefahren und du wirst beobachtet, wie du damit umgehst, egal ob plötzlich Instrumente, der Motor oder was auch immer ausfällt.
An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass jeder einmal einen Fehler macht oder eine Situation falsch einschätzt. Das ist kein Grund durchzufallen. Sondern hier wird genau darauf geachtet, wie du als Schiffsführer in der Ruhe bleibst und dich wieder aus der Situation befreien kannst.
Bei unserem zweiten Boot ist z.B. bei rauer See und ordentlich Wind die Kette vom Steuerrad gesprungen und die Kollegen waren nicht mehr manövrierfähig. Sie haben uns über Funk angerufen und wir waren schnell zu Stelle. Aber der RYA Ausbilder bei ihnen an Bord hatte natürlich die Lage unter Kontrolle. Solange der Ruderquadrant nicht zerstört ist oder das Ruder selbst fehlt, kann z.B. noch mit dem Autopilot gesteuert werden. Die Kollegen haben dann die Notpinne angeschlagen und einige sehr kräftezehrenden Minuten gehabt, bis wir dann beide in der Marina Rubicon sicher vertäut lagen.
Clemens hat uns dann noch ganz viel Leinenhandling, Leinenwurftechniken und clevere Möglichkeiten das Boot im Hafen zu verholen gezeigt. Es war wieder viel neues dabei.
Wir übten das ganze Programm nochmals durch, vom Security-Breefing über Blind-Navigation, Man-over-Board-Drill und Find-the-Spot im Hellen wie im Dunkeln.
Den krönenden Abschluss dieser Woche bildete dann die Prüfung von Gerald und Jochen. Beide waren schon für eine Woche vor Ort gewesen und kannten das Revier bereits. Die Beiden wurden von Clemens auch ein bisschen rangenommen, durften durch virtuelle Felsstürze vor der Hafeneinfahrt hindurch navigieren. Ich habe schnell verstanden, dass es nur auf die Kreativität der Prüfenden ankommt und nicht nur auf das Revier. Man kann eben auch hier auf den Kanaren eine Woche mehr als interessant und lehrreich gestalten. Plötzlich sind Hindernisse in der Karte eingezeichnet und mit denen musst du dann umgehen können.
Hubi und ich hatten dann die Ehre und das Vergnügen, bei Jochen und Gerald als Crew mit dabei zu sein. Dadurch konnten wir Stephen unseren Prüfer schon ein wenig kennenlernen. Als er dann die Passagenpläne von den beiden sah, meinte er nur er hätte da etwas für unsere Prüfung. Später stellte sich heraus, dass er seine privaten Karten vom Bristol-Cannel dabei hatte und wir bekamen dann auch entsprechende Aufgaben. Uns war klar, die mussten sitzen. Denn wenn wir irgendwo patzten, im Heimatrevier unseres Prüfers, würde er es sofort merken. Es sollte jedenfalls interessant werden.
Für Gregor und Jochen war es das bereits jetzt. Denn als alter Regattasegler legte Stephen sehr großen Wert auf optimal getrimmte Segel. Und immer wieder fragte er Jochen: „Are you happy with your sails?„ Eigentlich klar, was er wollte, oder? Es ist sicher nicht üblich, dass ein Prüfer so direkt auf das Thema Segeltrimm eingeht. Mir scheint es aber mehr als Verständlich. Denn ich hatte auch schon öfters altgediente und sehr erfahren Regattasegler dabei auf Törns. Da wird immer gezupft und gefiert und dichter geholt und Holepunkte versetzt … Sprich, es war nie langweilig.
Der Prüfungstag der beiden neigte sich dann dem Ende zu, beide haben ihren Teil sehr gut gemacht und wir konnten sie am Abend auch gebührend feiern. Zwei weitere Yachtmaster … Cheers!
Und dann sollte unsere finale Woche mit Prüfung beginnen.